B2B ist keine Schutzzone

Zamro und Zoro haben aufgegeben und Amazon Business kommt nur langsam voran. Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, der PVH könne sich auf der sicheren Seite fühlen und beim E-Commerce den Fuß vom Gas nehmen, hält Lennart A. Paul für bedenklich. Wir haben mit dem B2B-E-Commerce-Experten über die Situation des Marktes und den Einfluss von Corona gesprochen.

ProfiBörse: Zamro hat Ende 2018 das Handtuch geworfen, zum Jahreswechsel 2020/2021 steigt Zoro Tools aus dem Markt aus. Was haben diese Onlinehändler falsch gemacht – oder wird „wegen Reichtum geschlossen“?
Paul: Überlegen wir doch mal gemeinsam: Sie hatten beide ein für Ihre Zielgruppe passendes Sortiment, meiner Erinnerung nach auch marktgerechte Preise. Mir ist auch nichts bekannt, dass es logistische Probleme gegeben hätte. Also daran kann es schon mal nicht gelegen haben. Nur: das reicht halt schon lange nicht mehr, um online Erfolg als Händler zu haben. Beide hatten z.B. eine Standard-Shopsoftware im Einsatz und keiner von beiden hat das Thema “datengetriebenes CRM” so stark strapaziert, wie z.B. Contorion. Unter dem Strich würde ich also sagen: Beides waren keine guten Onlinehändler, weil Ihnen das Know-how und die Werkzeuge gefehlt haben, online zu verkaufen und eine Kundenbeziehung aufzubauen.

Lennart A. Paul (Foto: Paul)

Zamro hätte für Eriks durchaus der Brückenkopf in die Online-Handelswelt sein können. Ich glaube, am Schluss hat einfach die Investitionsbereitschaft und das Durchhaltevermögen gefehlt. Zamro ist eine verpasste Chance und ein weiterer Beweis dafür, dass “Start-up”-Spielen für etablierte Unternehmen meist kein gutes Ende nimmt. Trotzdem hat man bei Eriks bestimmt viel daraus gelernt und ist, so zumindest mein Eindruck, im Kerngeschäft schon sehr aktiv dabei, digitale Kundenkontaktpunkte aufzubauen.

Im Fall von Zoro hatte ich viel eher damit gerechnet, dass die Segel wieder gestrichen werden. Ich glaube, man hat am Ende zu sehr mit der amerikanischen Brille auf den deutschen Markt geblickt und gedacht, das läuft hier im Grunde alles ähnlich wie in den Staaten. Vielleicht ist der Erfolg von Zoro in den USA oder der von MonotaRo in Japan und Südostasien den Europäern zum Verhängnis geworden. Im Nachhinein muss man sagen, dass Zoro mit großen Erwartungen gestartet ist, die nie erfüllt werden konnten.

ProfiBörse: Ist die Hürde für ausländische Unternehmen, die in den E-Commerce im Werkzeugsektor in Deutschland einsteigen wollen, zu hoch, um erfolgreich zu sein? Hat auch der B2B-E-Commerce hierzulande etwas Spezielles?
Paul: Nein, das glaube ich nicht. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass die Hürde jedes Jahr weiter herabgesenkt wurde. Es sollte auch keiner von den Lesern glauben, dass ihr Markt so speziell ist, dass diese Spezialität schon reichen wird, damit man für immer von äußeren Einflüssen und digitalen Anbietern verschont bleibt. Jeder Markt hat etwas Spezielles, aber nichts, was nicht in irgendeiner Form zu knacken ist.

Amazon Business wird sich weiter etablieren. Dass die nächsten Zamros oder Zoros hier in Deutschland aufschlagen, halte ich für unwahrscheinlich.

ProfiBörse: Rubix hat sich massiv in den Bereich des stationären PVH/techn. Handels eingekauft, wie zu hören ist, sollen die Häuser demnächst unter der Marke Rubix auftreten. Könnte das der Ansatz für ein massives Auftreten auch im B2B-E-Commerce sein?
Paul: Der Erfolg im Onlinehandel hat keine Wurzeln in der Größe der stationären Kernorganisation. Das ist ein bisschen so, als würde ich bei einer großen Spedition darauf schließen, sie könnten die Formel 1 gewinnen, weil man sich ja offensichtlich tagtäglich mit “Fahren” beschäftigt. Ich sehe weder bei Rubix oder bei einem der Tochterunternehmen, dass in den letzten Jahren massiv E-Commerce-Kompetenz aufgebaut wurde.

Ich fände es aber bedenklich, wenn es keine Online-Offensive geben würde. Ich glaube aber, dass alles, was eine Post-Merger-Integration von verschiedenen Fachhändlern mit sich bringt, eher erfolgshemmende Auswirkungen auf das Onlinegeschäft hat.

ProfiBörse: Amazon Business wurde als die Bedrohung für die Branche gesehen, derzeit ist das Drohszenario noch nicht so intensiv wie befürchtet. Woran liegt das?
Paul: Das liegt daran, dass viele überschätzen was kurzfristig passiert und unterschätzen was langfristig passieren wird. Das Drohszenario ist nach wie vor real. Wer in den letzten Jahren keinen Anlass gesehen hat, sich und sein Unternehmen so aufzustellen, dass damit aktiv umgegangen werden kann, für den wird es natürlich jetzt auch keine besseren Argumente geben.

Ich sehe grundsätzlich eine Spaltung in vielen B2B-Segmenten: Diejenigen, die es verstanden haben und seit einigen Jahren schon aktiv sind, Dinge ausprobieren und lieber schnell scheitern und etwas lernen. Das sind vielleicht zehn Prozent im Durchschnitt. Der überwältigende Anteil an Entscheidern ist aber bisher noch nicht über Lippenbekenntnisse, Online-Shop-Relaunches und die Einstellung eines Chief Digital Officers hinausgekommen.

ProfiBörse: Hat Toolineo die Chance, die die letzten Monate dem E-Commerce eröffnet haben, ausreichend genutzt?
Paul: Das kann ich nicht beurteilen, mit Toolineo beschäftige ich mich so gut wie garnicht mehr. Aber wer in den letzten Monaten als Onlinehändler nicht die Chancen genutzt hat, der sollte sich schon stark hinterfragen. Eine bessere Voraussetzung wie eine globale Pandemie und die Schließung des stationären Handels im Lockdown kann es nicht geben.

ProfiBörse: Werden die preisaggressiven (kleineren) Shops weiterhin im Netz zu finden sein, wie stark stören sie die Gesamtstruktur?
Paul: Mit Sicherheit wird es weiter preisaggressive Anbieter online und offline geben. Je eher Hersteller Ihre Warenströme und europäischen Preisstrategien in den Griff bekommen, desto weniger wird es das geben. Die Gesamtstruktur wird dadurch meines Erachtens schon “gestört”, aber das zu messen fällt mir schwer.

Der größte Störfaktor ist vielleicht, dass sich viele andere Anbieter dadurch dazu bemüßigt fühlen, sich zu beklagen über die niedrigen Preise der Konkurrenz, anstatt selbst aktiv zu werden und sich zu überlegen, warum der höhere Preis bei Ihnen dem Kunden gegenüber gerechtfertigt sein sollte.

ProfiBörse: Einige der (größeren) stationären PVHler behaupten auch im E-Commerce ihre Position nach wie vor. Und auch Contorion setzt punktuell auf analogen Kundenkontakt. Funktioniert nur die Verbindung von stationärem und Online-Auftritt?
Paul: Wer schon den stationären bzw. persönlichen Kontakt hat und es nicht schafft, seine Kunden auch über den Kontaktpunkt E-Commerce anzubinden, der macht grundsätzlich strategische und taktische Fehler. Die Verbindung von persönlichem Kontakt und E-Commerce ist im B2B sehr kraftvoll. Allerdings muss man dazu erstmal die Voraussetzungen schaffen, das haben viele noch nicht konsequent umgesetzt.

ProfiBörse: Wie onlinefähig ist die Branche denn überhaupt?
Paul: Zu großen Teilen sprechen wir über absolut standardisierte Produkte, die in Paketen verschickt werden können. Hervorragende Voraussetzungen für Online-Fähigkeit. Die Branche ist eigentlich wie gemacht für den Onlinehandel.

ProfiBörse: Gibt es aus Ihrer Sicht derzeit einen Marktbearbeiter, der alles richtig macht?
Paul: Jeder der von mir vorhin beschriebenen zehn Prozent macht alles richtig. Machen, ausprobieren, lernen, anpassen, neu machen. Es gibt kein Patentrezept.

Unser Gesprächspartner

Lennart A. Paul (Jahrgang 1988) beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit der Entwicklung von digitalem Vertrieb und digitalen Geschäftsmodellen in verschiedenen B2B-Branchen. Er startete seine Karriere in der Würth-Gruppe und wurde später Partner in einer Hamburger Digitalberatung. Auf seinem Blog warenausgang.com veröffentlicht er Artikel zu Strategien, Trends und Hintergründen aus dem Themenkomplex B2B Digital Commerce. Seit 2019 ist er zudem Gründer und Geschäftsführer des Start-ups bex technologies GmbH, einer Plattform, die die Zusammenarbeit zwischen Kunden und Lieferanten im Bauhandwerk vereinfacht.